Nach der EU Richtlinie EC 661/2009 (Art. 9) müssen Autohersteller ihre ab November 2012 eingeführten Modelle mit einem Reifendruckkontrollsystem (RDKS/TPMS) ausstatten. Rema Tip Top lud Anfang November zum RDKS-Tag nach München ein. Die Redaktion des Fachmagazins AutoRäderReifen-Gummibereifung sprach mit Michael Schwämmlein (Director Global Business Segment Automotive) über die vom Handel zu nutzenden Potenziale im RDKS-Kontext.
Was raten Sie dem Fachhändler oder Werkstattinhaber, welche Sensoren sollte er auf Lager haben?
Zunächst werden wir im Markt die Verteilung von zwei Systemen haben. Das indirekte System, das keinen direkt messenden Sensor im Reifen hat, sondern sich Informationen aufgrund der Radumdrehungszahl in der Regel über den ABS-Sensoren oder über den anderen im Elektronik-Bereich des Fahrzeuges vorhandene Informationen holt und dort eine komparative Messung zwischen dem Soll- und dem Ist-Umfang macht. Aus Automobilhersteller-Sicht ist diese die präferierte Lösung, weil sie einfacher in der Wartung, in der Umsetzung ist und keine zusätzlichen Teile erforderlich sind. Ein möglicher Nachteil: Das System sagt nicht, was der direkte, absolute Luftdruck ist. Es meldet lediglich Veränderungen. Die Luftdruckprüfpflicht bleibt somit nicht erspart. Gerade Kunden, die den Service Abstandshalter, Notbremsassistent etc. im Fahrzeug nutzen, werden meiner Meinung nach kein indirekt messendes System auswählen. Dennoch muss der Verbraucher für sich entscheiden, ob er bereit ist, vielleicht 200 Euro mehr für ein direkt messendes System auszugeben.
Direkt messende Systeme haben einen direkten Einfluss auf den operativen Ablauf eines Reifenservice in der Werkstatt. Hier ist es unser Anliegen, die Leute frühzeitig über die Möglichkeit bei den Erstausrüstungssensoren zu informieren als auch Universalsensoren zur Verfügung zu stellen. Momentan sind uns zirka 50 verschiedene Sensortypen bekannt. Der Reifenfachhändler weiß nicht, welches Fahrzeug mit welchem Sensor morgen auf dem Hof steht. Es ist sehr schwer abzuschätzen, welchen Sensor der Händler auf Lager nehmen sollte. Kann jedoch der Kunde nicht direkt bedient werden, so wird er gegebenenfalls die markengebundene Fachwerkstatt aufsuchen. Aus Reifenhändlersicht wird es Sinn machen, sich neben gängigen Originalsensoren auch universal-programmierbare Sensoren anzuschaffen, aber mit dem Risiko, dass diese wegen der Batterielaufzeit irgendwann nicht mehr verwendbar sind. Als Service-Provider einer Leasinggesellschaft, die zum Beispiel eine Flotte von 500 Passat hat, sollten Informationen über die Kosten der Passat Originalsensoren eingeholt werden, bevor Universalprogrammierer gekauft werden. Händler auf dem Land, die zum Beispiel heute einen Opel, morgen einen Toyota und übermorgen einen Mercedes auf dem Hof haben, lohnt sich der Vorrat an Universalsensoren. So besteht für den Händler die Gewissheit, mindestens 85 Prozent der Reifen, die mit RDKS reinkommen, abzudecken. Es ist wie beim Winterreifengeschäft: Der Kunde möchte möglichst schnell bedient werden, dies führt zur Kundenzufriedenheit, beziehungsweise auch Bindung.
Welche Vor- und Nachteile sehen Sie in den Systemen und wie ist Ihre Sicht zu der Gesetzgebung?
Wir betrachten die Gesetzgebung mit einem lachenden als auch weinenden Auge. Das lachende: Wir haben ein Zusatzgeschäft, der Reifenfachhandel hat ein Zusatzgeschäft. Das weinende: Es ist eine zusätzliche Komplexität, mit der der Reifenhandel zurechtkommen muss. Gefahr oder Chance? Wir glauben, es ist eine Chance für den qualifizierten Fachhandel, sich zu differenzieren – eine gewisse Grundeinstellung zu Zusatzbereitschaft und Investitionsbedarf vorausgesetzt. Eine Gefahr sehe ich dann, wenn gesamt gesehen die Kosten so hoch werden, dass der Kunde den Kauf eines Komplettsatzes Winterreifen ablehnt, weil 300-400 Euro mehr fällig werden. Für den Reifenhandel aber auch eine deutliche Gefahr in Richtung Umsatz und in Richtung Service, weil die Ummontage deutlich weniger Durchsatzpotenzial im Herbstgeschäft bedeutet, als wenn ich einen vorbereiteten Satz Winterreifen nur umstecken, Drehmoment checken, anziehen und Kontrollcheck machen muss, ob das System läuft und den Kunden dann wieder entlassen kann. Im Moment haben wir in Deutschland einen Bestand von zirka 42 Mio. Pkw. Die Wechselquote liegt bei rund 6-8 Prozent jährlich. Das bedeutet, jedes Jahr werden 6-8 Prozent neue Fahrzeuge mit diesem Feature in den Markt kommen. Das sind alles Kunden, die potenzieller Weise – wenn es nicht gerade indirekte Systeme sind – nicht mehr bedient werden können, wenn der Reifenfachhandel sich nicht auf RDKS einstellt.
Kann die USA bei der Einführung von RDKS in Deutschland als Vorbild genommen werden?
Ja, natürlich. Die Erfahrungen, die man in den USA gemacht hat – zum Beispiel über die reelle Batterie-Laufzeit – sind in gewisser Weise auch hier übertragbar. Es muss jedoch in Deutschland erst einmal herausgefunden werden, wie häufig die Sensoren überhaupt gewechselt werden müssen. Was nicht übertragbar ist, sind die Händlerstrukturen und das in den USA vorgegebene direkt messende System. Das bedeutet, dort befinden sich keine indirekt messenden Varianten auf dem Markt. Zudem: Wie hoch ist der Einfluss von Korrosion im Winterbetrieb mit Eis auf der Straße? Des Weiteren bestimmt die gesetzliche Verpflichtung in Deutschland nur, was das System können muss: Es muss einen Luftdruckunterschied in einer gewissen Zeit detektieren können, die Höhe des Unterschiedes muss genau dargestellt und festgelegt werden und es muss eine Temperaturkompensation stattfinden. Des Weiteren muss es warmen Luftdruck zu warmen Ist-Druck vergleichen können. In den USA hingegen ist eine Temperaturkompensation nicht erforderlich und die Detektionszeit und -schwelle sind weniger anspruchsvoll. Insofern sind die Ansprüche der europäischen ECE R64-Regelung deutlich höher.
(akl)