Die Vorbehalte gegenüber digitalen B2B-Vertriebskanälen sind in weiten Teilen der Reifenbranche endgültig von der Erkenntnis verdrängt worden, dass das Online-Geschäft viele Prozesse effizienter und komfortabler macht – die Krise wirkt als digitaler Beschleuniger. „Was früher vielerorts lediglich als Low-Cost-Variante angesehen wurde, hat sich inzwischen zum bevorzugten Kanal der meisten Einkäuferinnen und Einkäufer entwickelt“, heißt es in der Bain-Studie – und diese Entwicklung lässt sich auch in unserer Branche beobachten.
Auf Nachfrage der Redaktion bestätigen die Verantwortlichen der Saitow AG, der RSU GmbH und von Gettygo, dass die Bereitschaft zu Internetkäufen gestiegen ist. Der Online-Handel verzeichnet in der Covid-Krise Umsatzzuwächse. „Auch wir bei Gettygo haben Zuwächse in allen Warengruppen verzeichnet. 2020 gab es spürbare Steigerungen in Deutschland und Österreich. In diesem Jahr setzt sich der Trend fort, und zwar in allen fünf Märkten, in denen wir vertreten sind, neben Deutschland und Österreich auch in Frankreich, Belgien und Spanien“, bestätigt Gettygo-Geschäftsführer Steffen Fritz. Tyre24-Gründer Michael Saitow berichtet: „Die Corona-Situation hat das Einkaufsverhalten nach unserem Eindruck beeinflusst. Zum einen war und ist es für den traditionellen Handel, der stark auf persönlichen Kontakt zu Kunden und Lieferanten ausgerichtet ist, schwerer, bestehende Prozesse wie gewohnt aufrechtzuerhalten. Zum anderen haben sich Händler durch geänderte Bedingungen im geschäftlichen Miteinander sowie durch gesteigerte Motivation, beim Einkauf zu sparen, um den Ertrag zu verbessern, den geänderten Gegebenheiten angepasst.“
Michael Saitow gehört aber auch zu den Branchenakteuren, die noch immer ungenutzte Potenziale anmahnen: „Vielfach ist zu hören, dass die Corona-Pandemie wie ein Brennglas wirkt, das viele Defizite noch deutlicher aufzeigt beziehungsweise Veränderungsprozesse beschleunigt. Nach meiner Ansicht gilt dies auch für den automobilen Aftermarket und das Interesse am Online-Einkauf.“ Reifenhändler, die ihre Defizite im Online-Geschäft nicht bearbeiten und digitale Geschäftsbeziehungen nicht ausreichend entwickeln, sieht Saitow bedroht.
Die B2B-Plattformen im Reifenmarkt sind Profiteure der Krise – gleichzeitig ist aber auch der Anspruch ihrer Kundschaft gestiegen. Laut Michael Saitow haben sich Einkaufsprozesse grundlegend gewandelt: „Es wird kaum noch auf Bevorratung eingekauft. Die Zeiten der großen Reifenbevorratung vor der Saison sind vorbei. Es wird viel mehr im Spotmarkt gekauft. Bestellungen erfolgen zumeist gewerk- und auftragsorientiert – das Internet macht dieses Bestellverhalten überhaupt erst möglich.“ Die Corona-Zeit werde dem Servicegeschäft per Internet zusätzliche Impulse für die Zukunft geben. Simon Reichenecker führt aus: „Uns ist nicht erst durch die Krise klar, dass Digitalisierung die Zukunft der gesamten Geschäftswelt bedeutet.“ Reifenecker erkennt aber eine Verschärfung im Wettbewerb. Lesen Sie ein IT-Spezial in der August-Ausgabe.