Beim Lesen unserer Überschrift dachte sich wohl der eine oder andere: Was hat ein Haifisch – oder eine Fledermaus – mit Motorrädern zu tun? Viel, sofern es sich um Motorräder der Marke Harley-Davidson handelt. Denn nach deren Nomenklatur heißen die Verkleidungen der amerikanischen Tourer wahlweise „Sharknose“ (Haifischnase) oder „Batwing“ (Fledermausflügel). Letztere ist eher rundlich, geschwungen, beherbergt einen Rundscheinwerfer und ist am Lenker montiert. Erstere wirkt kantig, trägt einen rechteckigen Doppelscheinwerfer und ist rahmenfest montiert – und ist Charaktermerkmal der Modell-Linie Road Glide. Deren jüngster Spross Road Glide ST war bei uns zu Gast.
Angetrieben wird sie vom stärksten Motor, den Harley Davidson, das dieses Jahr sein 120-jähriges Bestehen feiert, je serienmäßig eingebaut hat. Bisher war er nur in Modellen aus der hauseigenen Tuning- und Veredelungsschmiede CVO (Custom Vehicle Operations) erhältlich – allerdings nur für eine handverlesene Kundschaft und zu exorbitanten Preisen. Wobei auch die Road Glide ST mit einem Grundpreis von 34.195 Euro wahrlich kein Schnäppchen ist.
Das genannte Aggregat schöpft seine Kraft aus einem Hubraum von 117 Cubicinch, das sind rund zwei Liter – und ein Wort für einen V-Zweizylinder. Der mobilisiert 105 PS, was zunächst nicht spektakulär klingt, aber durchaus spektakulär wirkt, erst recht in Anbetracht des mächtigen Drehmoments von 168 Nm. Das steht bei 3500 Touren zur Verfügung und sorgt schon früh für mächtig Druck. Wer Leistung abruft, hört das. Da gurgelt es vernehmlich in dem Ansaugschnorchel, der rechts neben den Zylindern verbaut ist. Wobei die Geräuschentwicklung immer noch harmlos ist im Vergleich zu vielen anderen Motorrädern – insbesondere aber zu den Krawallmachern mit ihren offenen Auspuffanlagen. Wer nicht mutwillig handelt, bekommt mit dieser Harley auch keinen Ärger mit den Nachbarn. „Milwaukee-Eight“ werden diese Motoren genannt. „Eight“ steht für die acht Ventile, die in diesem Motor arbeiten. Die Vierventiltechnik trägt maßgeblich dazu bei, dass der Motor alle geforderten Emissionswerte einhält.
Sport und Touring
Das Fahrwerk ist dafür gerüstet. Die ST bekam neue, längere Federbeine und verfügt nun über 76 Millimeter Federweg – 22 Millimeter mehr als beim Schwestermodel Road Glide Special. Das sorgt für mehr Komfort, höhere Schräglagenfreiheit und macht damit dem Namenszusatz ST alle Ehre. Das Kürzel steht für Sport und Touring. Natürlich bringt ein geübter Fahrer auch die Trittbretter der ST zum Kratzen auf dem Asphalt. Aber das passiert doch etwas später als bei den reinrassigen Tourern. So bereitete die ST auf kurvigen Landstraßen auf der Schwäbischen Alb oder im Allgäu großes Fahrvergnügen – Autobahn kann die Amerikanerin natürlich auch. Das teilintegrale Bremssystem, das vorne und hinten mit je einer Scheibe bremst, wenn man aufs Pedal tritt, reicht im normalen Leben vollauf. Dabei wird die Bremskraft über ein Steuergerät dynamisch verteilt. Wenn es eng wird, muss auch die Bremshand kraftvoll zugreifen. Das darf sie auch, schließlich verhindert das serienmäßige ABS ein Blockieren der Räder. Auf der Testmaschine montiert waren die serienmäßigen Dunlop D 407 (hinten) und D 408 F (vorne) mit Harley-Davidson-Schriftzug auf der Reifenschulter, die ihrer Aufgabe unauffällig und zuverlässig nachkamen. Diese Reifen sind eindeutig für lange Lebensdauer ausgelegt, Nassgrip ist jedoch nicht ihre Stärke. Aber so ist das regelmäßig bei den Harleys.
In unserem Test erwies sich die Road Glide ST als feiner, komfortabler Tourer. Und auch recht wendig, solange man ihn nicht rangieren muss. Die rahmenfeste Tourenverkleidung bietet sehr guten Wind- und Wetterschutz. Bei gemäßigtem Landstraßentempo ist das Geräuschniveau hinter der Verkleidung so niedrig, dass sich der Fahrer – für eine Sozia ist kein Platz – problemlos über das Infotainment-System mit Musik berieseln lassen kann. Oder man schaltet die ganze Chose einfach ab und atmet tief durch die Haifischnase. (Martin Häußermann)